TACHELES jiddisch: sich offenbaren, sich erklären, umgangssprachlich: Hosentaschen entleeren; hebräisch: ein Ziel verfolgen, sich bewahrheiten oder etwas zu Ende bringen - die etymologischen Pfeiler verweisen auf das programmatische Anliegen der Künstlergruppe.
Die Idee entstand in DDR-Zeiten, als freie künstlerische Bestätigung mit politischer Verfolgung und staatlicher Kontrolle geahndet wurde. Eine Gruppe von Musikern und Malern gab sich den programmatischen Namen 'Tacheles'. Zur gleichen Zeit wurden auch im Westen, bedingt durch den Rechtsruck der achtziger Jahre, Künstler ins Abseits oder in Nischen gedrängt. Kurz nach dem Fall der Mauer wurde im Februar 1990 mit der Besetzung durch Kunstschaffende beider Stadthälften der verbliebene Restflügel der Friedrich- straßenpassage vor dem geplanten Abriß bewahrt.
TACHELES manifestiert sich in einer Ruine, der fraktalen Hinterlassenschaft der einst pompösen Architektur. Der Restflügel der einstigen Friedrichstraßenpassage ist Produktions- und Veranstaltungsort für bildende Künstler, Musiker, Performer und Theaterschaffende aus allen Teilen der Welt geworden.
TACHELES "von außen, von der Friedrichstraße aus gesehen, erscheint das Gebäude zwar immer noch wie ein ungeschütztes Traumgebilde oder wie eine gigantische Puppenstube, in der die Utopie freien menschlichen Wirkens vorgespielt wird: die vor öffentlichen Blicken schützenden Vorderwände der einzel- nen Zimmer fehlen, sie gingen mit dem Abriß des Friedrich- straßenflügels verloren, und aus dem Dach sprießen Bäume. Aber die inneren Räume erschließen sich nun nicht mehr jedem. So manches Detail, die milde Morbidität der ab- blätternden Farben und bröselnden Torbögen, die Zärtlich- keit, mit der die kaputteste Ecke noch mit einem Gemälde bedacht wird, blüht im Verborgenen."
taz, 22.11.91
TACHELES versinnbildlicht das Lebensgef├╝hl der K├╝nstler- generation der 90er Jahre: trotz R├╝ckwendung der Geschichte, trotz Vermarktung, Normierung und Gleichschaltung kreativen Potentials den Verkr├╝ppelungen des menschlichen Wesens einen kolossalen Spiegel entgegenzuhalten - eine Ruine als Kunstform und endartetes Museum...
Der neugewonnene Freiraum Tacheles in unmittelbarer Nachbar- schaft zum alten j├╝dischen Scheunenviertel und zur Synagoge im Neuaufbau wirkt als Katalysator f├╝r eine Vielzahl nach- folgender k├╝nstlerischer Projekte und Initiativen im Bezirk Berlin-Mitte.
Gemeinnütziges Anliegen des Vereins ist nicht zuletzt die Förderung von Programmen der kulturellen Vernetzung. Hoffnung schafft die Erkenntnis, daß Kunst als Medium Menschen zusammenführen kann, Sprachbarrieren überwindet und zu gemeinsamen, über viele Ebenen des gesellschaftlichen Lebens greifende Strategien der Menschlichkeit führen kann. Die im Tacheles arbeitenden KünstlerInnen entwickeln seit Jahren Projekte, die spartenübergreifend die Krisen unserer Zeit hinterfragen, aufzeigen und neue Denkansätze geben.
Der Versuch eines selbstbestimmten Lebens in der Metropole stellt eine große Herausforderung für das Kunsthaus dar. Da vorgegebene Strukturen zu einschränkend auf künstlerische Freiheit wirken, versuchen die BetreiberInnen des Projektes den Standort Tacheles selbst zu entwickeln. In letzter Konsequenz bedeutet dies, die Sicherung der Ruine und die Bebauung der Grundstücke selbst in die Hand zu nehmen und einem kurzsichtigen "Raubbau" nach Vorbild der Büro- und Ladenflächenbebauung vorzugreifen.
Die Ruine ist ein Inspirationsfaktor, ein mit neuem Leben erf├╝lltes Monument ├╝berkommener Industrialisierung an der Schwelle zur digitalen Moderne.